Gerhard Schlitt Urheberrecht: Gebühren und Lizenzen Einleitung Meinem Bericht liegen im wesentlichen drei Erfahrungen zugrunde: Dies sind erstens die Diskussionen um die Novellierung des Urheberrechtsgesetzes (UrhG) im Jahre 1985, an denen ich auf der Seite der Bibliotheken intensiv mitgewirkt habe. Hinzu kommt zweitens das Ergebnis des Rechtsstreits des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels gegen die Technische Informationsbibliothek (TIB) in Hannover. Gegenstand dieses Musterprozesses ist die Kopiertätigkeit der Bibliotheken, festgemacht am Beispiel der TIB. Das Landgericht München I hat die Klage am 18.5.1995 abgewiesen. Das Urteil ist jedoch noch nicht rechtskräftig, da der Börsenverein Berufung eingelegt hat. Der dritte Erfahrungskreis bezieht sich auf meine dreißigjährige Tätigkeit an der TIB. Die TIB ist - im Verbund mit der Universitätsbibliothek Hannover - die nationale Zentrale Fachbibliothek für Technik/Ingenieurwissenschaften und deren Grundlagenwissenschaften Chemie, Informatik, Mathematik und Physik und somit einer der großen bibliothekarischen Dokument-Lieferanten in der Bundesrepublik Deutschland. Wenn man die Kopiertätigkeit von Bibliotheken betrachten und Konsequenzen für Gebühren und Lizenzen ziehen will, muß man drei Fälle unterscheiden: 1. Es werden Kopien von Printmedien aus dem Bestand der Bibliothek angefertigt - sie machen heute noch fast 100% aller Kopien aus. 2. Es wird von elektronischen Medien kopiert, die in der Bibliothek selbst zur Verfügung stehen - hier nehmen derzeit vor allem die Volltexte auf CD-ROM zu. 3. Es werden Kopien von elektronischen Medien hergestellt, die von externen Datenbanken abgerufen werden müssen - hierüber wird viel diskutiert, ohne daß bisher umfangreichere Erfahrungen vorliegen. Kopien von Printmedien Die zentrale rechtliche Regelung für das Kopieren in Bibliotheken ergibt sich aus §53 Abs. 2 Ziffer 4a UrhG: "Zulässig ist, einzelne Vervielfältigungsstücke eines Werkes herzustellen oder herstellen zu lassen ... zum sonstigen eigenen Gebrauch, ... wenn es sich um kleine Teile eines erschienenen Werkes oder um einzelne Beiträge handelt, die in Zeitungen oder Zeitschriften erschienen sind." Hierzu urteilte das Landgericht München I in den für die Bibliotheken zentralen Streitpunkten im Prozeß Börsenverein (Kläger) gegen TIB (Beklagte): * "daß der Kläger keine Vervielfältigungshandlungen der Beklagten dargelegt und unter Beweis gestellt hat, die über die in §53 Abs. 2 Ziffer 4a privilegierten Fälle hinausgehen," * "daß in der Kopiertätigkeit der Beklagten . . . auch nicht im Zusammenhang mit den Informationsmöglichkeiten über den Bestand der Bibliotheken und den erleichterten Anforderungsmöglichkeiten und dem Angebot, auch Kopien zu fertigen, ein urheberrechtlich relevantes Verbreiten von Vervielfältigungsstücken im Sinne von §17 UrhG (liegt)" und * "daß die für die Erstellung der Fernkopien notwendige Zwischenkopie ... ebenso privilegiert ist wie die erst beim Besteller entstehende Fern-(Fax-)Kopie." Dieses zusammengenommen ergibt meine 1. These: These 1 Durch §53 Abs. 2 Ziffer 4a UrhG sind alle Vervielfältigungshandlungen abgedeckt, * die von Printmedien hergestellt werden, * die einmal von seiten des Kunden in Auftrag gegeben werden, * die durch Papierkopie, Fax, E-mail oder File-Transfer (nach einem entsprechenden Scan-Vorgang) unverzüglich erledigt werden. "Unverzüglich" ist dabei so auszulegen, daß z.B. auch eine Versendung in den leitungstechnisch und tariflich günstigeren Nachtstunden möglich ist, * bei denen Bilddateien (TIFF) und keine Textdateien (z.B. ASCII) übertragen werden und * bei denen der von der Bibliothek kurzfristig gespeicherte Volltext sofort nach Erledigung des Auftrags gelöscht wird, so daß eine Wiederverwendung unmöglich ist. Es erfolgt also keine dauerhafte elektronische Speicherung von Aufsätzen usw. mit dem Ziel, sie bei erneuter Bestellung noch einmal zu verwenden. In diesem Zusammenhang sind sicherlich die Ergebnisse einer Untersuchung der Leihverkehrsbestellungen von Interesse, die 1994 in der Deutschen Zentralbibliothek für Medizin in Köln (ZB Med) und in der TIB parallel durchgeführt wurden1. Dabei wurden Erfahrungen aus ausländischen Bibliotheken bestätigt, daß die Bestellungen auf Aufsätze in bezug auf die Zeitschriftentitel außerordentlich breit streuen: Bei der ZB Med gingen im Untersuchungszeitraum (ca. 3 Monate) Leihverkehrsbestellungen auf Zeitschriftenaufsätze aus 4.415 Zeitschriften ein (TIB: 6.095). In 1.619 Fällen (= 37%) bei der ZB Med und in 2.935 Fällen (= 48%) bei der TIB wurden aus einer Zeitschrift nur einmal eine Aufsatzkopie bestellt. In 3.062 Fällen (= 70%) bei der ZB Med und in 4.981 Fällen (= 82%) bei der TIB wurden aus einer Zeitschrift nur höchstens viermal eine Aufsatzkopie bestellt. Und nur bei 13 Zeitschriften gingen bei der ZB Med 25 und mehr Aufsatzbestellungen ein (TIB: 8 Zeitschriften). Wohlgemerkt: Es handelt sich bei dieser Untersuchung um die Inanspruchnahme von Zeitschriftentiteln. Begibt man sich auf die Aufsatzebene, wird die Streuung noch ganz erheblich breiter. Da es sich also in allen Fällen mit hoher Wahrscheinlichkeit um unterschiedliche Aufsatzanforderungen gehandelt hat, wird deutlich, warum eine dauerhafte Speicherung einmal angeforderter Aufsatzkopien unsinnig ist. Damit komme ich zu dem Problem der Gebühren. Das Urteil des Landgerichts München I führt dazu aus: "Die Frage der Höhe der Vergütung spielt im vorliegenden Rechtsstreit keine Rolle." Um die Diskussion von vornherein in realistische Bahnen zu leiten, muß zunächst erläutert werden, daß heute bereits erhebliche Summen für die Abgeltung von urheberrechtlichen Ansprüchen aus dem Bereich der Bibliotheken an die dafür zuständige Verwertungsgesellschaft Wort (VG Wort) fließen: 1. Die Unterhaltsträger der Bibliotheken (einschließlich der vier Zentralen Fachbibliotheken) zahlen nach §27 UrhG (Vermieten und Verleihen von Vervielfältigungsstücken) die sogenannte Bibliothekstantieme an die Zentralstelle Bibliothekstantieme/VG Wort (Rahmenvertrag von 1975 - Aufkommen 1994: 19,4 Mio DM). 2. Die Unterhaltsträger der Bibliotheken (einschließlich der vier Zentralen Fachbibliotheken) zahlen nach §54a UrhG (Vergütungspflicht für Vervielfältigungen im Wege der Ablichtung) die sogenannte Kopiergebühr (Betreibervergütung) an die VG Wort (Rahmenvertrag von 1988 - Aufkommen 1994: 1,7 Mio DM)2. 1995 werden die vier Zentralen Fachbibliotheken aus dem Rahmenvertrag von 1988 herausgenommen und Teil eines neuen Rahmenvertrags für die Einrichtungen der "Blauen Liste" - ohne grundsätzliche Änderungen gegenüber dem Rahmenvertrag von 1988. 3. In die von den Geräteherstellern nach §54a UrhG an die VG Wort zu zahlende Geräteabgabe sind mittlerweile auch die Faxgeräte und die Scanner einbezogen (Aufkommen 1994: 45 Mio DM). Zu diesen Erträgen aus dem Bibliotheks- und Gerätebereich in Höhe von immerhin 66,1 Mio DM kommen aus anderen Bereichen weitere hinzu, so daß die Gesamterlöse der VG Wort 1994 rund 105 Mio DM betrugen. Die Ausschüttung an die Berechtigten belief sich auf rund 85,6 Mio DM, von denen immerhin rund 16,2 Mio DM an Verlage im Wissenschaftsbereich flossen3. Hieraus ergibt sich meine 2. These: These 2 Vergütungen für Kopien nach §53 Abs. 2 Ziffer 4a UrhG, die in Bibliotheken hergestellt werden, sind über die Vergütungssätze des §54 UrhG geregelt. Daneben einen zweiten, unabhängigen Vergütungstatbestand zu etablieren (z.B. durch die Einführung von Lizenzgebühren für die Kopien von einzelnen Aufsätzen, die zusätzlich zu den Zahlungen an die VG Wort direkt an den die Zeitschrift herausgebenden Verlag fließen) ist nicht systemkonform. Eine ganz andere, von mir nicht zu beantwortende, Frage ist, ob die derzeitigen Vergütungssätze nach der Anlage zu §54d UrhG in ihrer Höhe noch angemessen sind. Kopien von elektronischen Medien Nach dem derzeit bekannten Stand der Entwicklung erscheint mir die Handhabung von Gebühren und Lizenzen bei der Benutzung elektronischer Medien in und über Bibliotheken nicht so problematisch, wie sie häufig dargestellt wird. Im Prinzip muß man drei Fälle unterscheiden: 1. Bibliotheken kaufen elektronische Medien ein. Mit dem Kaufvertrag werden dann auch die Formen der zulässigen Nutzung und die dafür zu zahlenden Lizenzgebühren festgelegt. Erfahrungen positiver und negativer Art liegen hier im Bereich der CD-ROM-Nutzung bereits vor4. 2. Bibliotheken erstellen selbst elektronische Medien aufgrund vorhandenen Printprodukte. Soweit die Printprodukte urheberrechtlich geschützt sind, müssen Verträge mit dem Inhaber der Urheberrechte geschlossen werden - mit Festlegung der zulässigen Nutzung und der dafür zu zahlenden Lizenzgebühren. Erfahrungen in diesem Bereich gibt es bisher nur in Einzelfällen (z.B. im Rahmen des FASTDOC-Projektes des Beilstein-Instituts, Frankfurt am Main). Im übrigen spreche ich mich mit Nachdruck dafür aus, daß die staatlichen Bibliotheken nicht in das kommerzielle Verlagsgeschäft eingreifen sollten. 3. Bibliotheken benutzen externe elektronische Medien. Die Betreiber des externen Volltext-Servers werden im Benutzungsfalle die Nutzungsmöglichkeiten und -entgelte mitteilen. Vertreiben Verlage usw. elektronische Medien an mehrere Kunden (z. B. Bibliotheken), sollten die zulässige Nutzung und die dafür zu zahlenden Lizenzgebühren für alle Kunden einheitlich geregelt werden. Hierfür wird sich die Etablierung eines Clearance-Centres als notwendig erweisen. In diesem Zusammenhang stelle ich meine 3. These zur Diskussion: These 3 Der Begriff "Werk" in §53 Abs. 2 Ziffer 4a UrhG ist nicht an ein bestimmtes Medium (z.B. Papier) gebunden. Hieraus folgt, daß auch für die Übermittlung von Kopien aus elektronischen Medien "Kopiergebühren" nach §54 UrhG an die VG Wort gezahlt werden müssen. Da es hierbei nicht um kopierte Seiten gehen kann, muß eine andere Regelung gefunden werden (z.B. eine Bindung der Gebühr an das übertragene Datenvolumen).