Der ISDN S0 - Wächter

Die Datenkommunikation über den ISDN-Anschluß läuft meist unbemerkt für den Benutzer ab. Keine Status-LEDs an der Schnittstellenkarte, kein Piepsen eines Modems künden von einer Verbindung. Selbst das Telefon funktioniert noch, da ja ein zweiter B-Kanal zur Verfügung steht.

Komfort und Ungewißheit der digitalen Kommunikation

Moderne Telekommunikation macht es möglich, gleichzeitig zu telefonieren und mit dem Computer im Internet zu surfen. Die zwei B-Kanäle des ISDN-Basisanschlusses sind die Grundlage für diesen Komfort. Sie gestatten es, unabhängig voneinander zwei verschiedene Verbindungen zu unterhalten. Doch wie kann man erkennen, daß der Computer ohne Wissen seines Besitzers telefoniert? Ein analoges Modem piepst oder blinkt wenigstens mit seinen Status-LEDs, der analoge Telefonanschluß wäre besetzt. Nicht so die ISDN-Karte im Rechner und ISDN-Telefon oder TK-Anlage, die ebenfalls am S0 - Bus angeschlossen sind. Sie liefern keinen Hinweis auf die Soliaktion Ihres Computers für die Telekom.

Auf den Gedanken, daß der PC auch ein kommunikatives Eigenleben führen kann, kommt man erst, wenn man die Sternschnuppen des Netscape-Navigators im Logo blitzen sieht, obwohl man doch eigentlich nur mit dem Browser ein HTML-File betrachten wollte, das vor einiger Zeit lokal gespeichert wurde. Inzwischen sind die eingebetteten Bilder nicht mehr im Cache: Netscape baut sofort eine Verbindung auf, um die erforderlichen Bilddateien nachzuladen. Selbstverständlich ist alles so konfiguriert, daß der Verbindungsaufbau automatisch und ohne Nachfrage vonstatten geht, denn normalerweise soll ja die Verbindung abgebaut werden, wenn nach einer vorgegebenen ‘Idle-Time’ keine Aktivitäten auf dem Kanal sind, um dann bei einem erneuten Kommunikationswunsch sofort wieder zu ‘stehen’.

Natürlich ist es naheliegend, eine Software mit der Überwachung der Computer-Aktivitäten zu beauftragen. Ein ISDN-Monitor wird z. B. von [Hanewinkel 1996] als Shareware angeboten. Die Anwendung eines Softwaremonitors setzt jedoch voraus, daß der Computer noch ordentlich läuft. Was die ISDN-Karte etwa nach einem Absturz tut, bleibt auch dem besten Programm verborgen. Damit ist das Ziel für das Hardwareprojekt klar umrissen. Benötigt wird ein S0 - Wächter, der Aktivitäten auf dem Bus direkt anzeigt. Dies muß nicht sehr komfortabel sein. Entscheidend ist die Information ‘keine Aktivität’. Darüber hinaus wäre es schön, wenn man noch zwischen einer Signalisierung und der Kommunikation auf einem oder zwei Kanälen unterscheiden könnte. Bitte erwarten Sie nicht, daß man mit dem Wächter die Datenraten oder gar die Gebühren messen könnte! Das überlassen wir dann doch lieber der Software. Ebenfalls ist die Analyse des Protokolls auf der S0 - Schnittstelle nicht unsere Sache! Protokollanalyse ist der Bereich kommerzieller Anbieter, denen der S0 - Wächter das Feld nicht streitig macht.

Der S0 - Bus

Bindeglied zwischen dem NT - dem Netzabschlußgerät der Telekom - und den maximal acht Endgeräten (TE) ist der S0 - Bus. Seine zwei Leitungspaare sind keineswegs den beiden B-Kanälen zugeordnet. Vielmehr handelt es sich um den Sende- und Empfangskanal des digitalen seriellen Kommunikationsbusses, auf dem die zwei B Kanäle sowie D- und Echo-D-Kanal im Zeitmultiplex realisiert werden. Dazu muß die zu übertragende Nachricht in einem Rahmen eingeordnet und synchronisiert sein. Die Basis für diese Rahmensynchronisation bilden sogenannte Codeverletzungen im modifizierten AMI-Code, der wegen seiner Gleichspannungsfreiheit für die Übertragung zur Anwendung kommt [Lochmann 1995].

Die Oszillogramme zeigen den aktiven Sende- [1] und Empfangskanal [2] mit unterschiedlichen Rahmeninhalten. Während im Bild 1 lediglich die Rahmensynchronisation bei ansonsten leeren B- und D-Kanälen dargestellt ist, sind in den Bildern 2 und 3 Übertragungen in einem bzw. zwei B-Kanälen zu sehen. Die Cursoren markieren jeweils einen vollständigen Rahmen von 250 µs Länge. Die Codeverletzungen in Form von aufeinanderfolgenden gleichen Pegeln sind schön zu erkennen, ebenfalls die Lücken, die die nicht belegten Kanäle in der Übertragung lassen.

Da elektronische Schaltungen auch dann Energie verbrauchen, wenn keine Nachrichtenübermittlung stattfindet, wird bei Inaktivität des Busses die Rahmensynchronisation eingestellt. Eine solche Deaktivierung erfolgt wenige Sekunden nach dem Schließen des letzten B-Kanals. Eine erneute Aktivierung dauert nur Millisekunden.

Somit wird ein Kriterium erkennbar, welches für eine einfache Signalisierung der Busaktivität herangezogen werden kann. Dies ist die mittlere Frequenz der Digitalsignale auf dem S0 - Bus. Sie liegt - abhängig von der Auslastung der Synchronrahmen - zwischen Null und etwa 48 kHz. Für die verschiedenen Kanalzustände lassen sich charakteristische mittlere Frequenzen angeben. Es ist also möglich, zwischen dem freien Kanal, einer Rahmensynchronisation und der Belegung eines oder zweier B-Kanäle zu unterscheiden. Die Aktivitäten auf dem D-Kanal werden dabei von den statistischen Schwankungen verdeckt. Für die Darstellung der Kanalaktivität genügt demnach ein einfacher Frequenzmesser, wie er heute bereits in vielen Digitalmultimetern integriert ist. Aber auch simple analoge Frequenzmesser für den oben genannten Frequenzbereich würden hier völlig ausreichen. Der Kreativität sind keine Grenzen gesetzt.

Analog-Uhren-Recycling

Da die S0 - Überwachung eine Daueraufgabe ist, scheidet die Benutzung universeller Meßtechnik wie Multimeter oder Oszilloskop aus. Ziel der Wünsche wäre ein Gerät, welches preiswert und leicht verfügbar ist sowie mit minimalen Modifikationen die Anzeige im oben angegebenen Frequenzbereich übernehmen könnte. Die Lösung findet man bei [Schlenzig 1982]. Er zeigte, daß Analoguhrenschaltkreise in einem weit größeren Rahmen einsetzbar sind, als ursprünglich vorgesehen, z. B. auch als analoge Frequenzmesser. Die klassische analoge Wohnraumquarzuhr und der analoge Quarzwecker - durch Funkuhren verdrängt und oft schon beim alten Eisen - sind leicht verfügbar, so daß sie für ein solches Wochenendprojekt wieder interessant werden können. Unter der Voraussetzung, daß sie über einen Sekundenzeiger verfügen und von einem 32,768 kHz - Quarz angetrieben werden, sind minimale Veränderungen erforderlich, um sie dem neuen Zweck zuzuführen. Aber auch bei Uhrenschaltkreisen mit 4,19 MHz - Quarz kann man Erfolg haben, wenn sie wie der von Schlenzig untersuchte U 114/124 einen Schnellgang und dynamische Eingangsteiler haben.

Das Prinzip der CMOS-Analoguhr ist anhand von Bild 4 schnell erläutert. Im Rückkopplungszweig des Eingangsinverters befindet sich der zeitbestimmende Quarz, dessen Frequenz eine Potenz von 2 ist. Ein 2n : 1 - Teiler erzeugt daraus schmale, gegenphasige Sekundenimpulse, die den Schrittmotor der Analoguhr takten.

Ebenfalls im Bild 4 ist die Erweiterung zum Frequenzmesser zu sehen. Durch einen Widerstand von 20 bis 50 kOhm parallel zum Quarz unterbindet man dessen Schwingungen und kann nun mit abweichenden Frequenzen das Uhrwerk verschieden schnell laufen lassen. Die Grenze für diesen Spaß bildet weniger der Uhrenschaltkreis als eher der Schrittmotor, für den die Schaltimpulse zu schmal oder zu breit werden. Die lose symmetrische Ankopplung mit zwei mal 27 pF ist völlig ausreichend und vermeidet unnötige Rückwirkungen auf den Datenkanal. Sie sorgt zugleich für eine saubere Trennung von den 40 V Speisespannung, die der NT den angeschlossenen Geräten zur Spannungsversorgung zur Verfügung stellt.

Die drei zusätzlichen Bauelemente finden auf einer 2x5 - Lochrasterplatte (Bild 5) ihren Platz. Als Anschlußkabel mit Western-Stecker kommt ein halbes konfektioniertes ISDN-Verlängerungskabel in Betracht, von dem allerdings nur das mittlere Adernpaar (e,f), welches den Sendekanal liefert, angeschlossen wird. Die komplizierteste Aktion ist der Anschluß an das Quarzwerk. Üblicherweise sind die Gehäuse mit Rastnasen verschlossen und zusätzlich durch eine Schraube gesichert. Vorsicht ist geboten, da einige Zahnrädchen im Deckel gelagert sind! Der Schwingquarz sollte nicht entfernt werden, da seine Anschlußbeine erfahrungsgemäß als Lötstützpunkte wesentlich besser zugänglich sind als die Lötaugen auf der winzigen Platine. Als Stromversorgung verwenden wir weiter die 1,5 V - Zelle der Analoguhr.

Wenn die ISDN-Uhr tickt

Das wichtigste Signal, das unser kleines Hilfsmittel liefert, ist ‘keine Aktivität’. Dieser Zustand sollte sich etwa 10 Sekunden nach der letzten Aktion auf dem S0 - Bus einstellen und ist sichtbar daran, daß die ISDN-Uhr steht. Die Erfahrung mit verschiedenen ISDN-Umgebungen lehrt, daß die Deaktivierung nicht jedem System gelingt. Hier sollte man Ursachenforschung betreiben, denn das deutet auf Mißverständnisse im Protokoll hin. In meiner eigenen Anlage führte dies im Abstand von Tagen oder Wochen zu Abstürzen des ISDN-Telefons, die durch ‘Booten’ desselben (Stecker ‘raus und wieder ‘rein) zu beheben waren. Das fatale daran war, daß man es dem Telefon nicht ansah, wann es abstürzte und auf diese Weise oft mehrere Tage alle Anrufer abgewiesen wurden. Behoben war das Problem nach zwei (!) Software-Updates für das Telefon. Als Ursache wurde vom Hersteller ein zwar zulässiges aber eben unübliches Kommando in der Telekom-Vermittlung genannt.

Startet man mit dem Computer einen Verbindungsaufbau, so erfolgt nach der Aktivierung eine Signalisierung im D-Kanal. Diese ist mit dem S0 - Wächter von einer reinen Rahmensynchronisation, wie sie nach Abbau aller Verbindungen noch einige Sekunden stehenbleibt, nicht zu unterscheiden. Der Sekundenzeiger der Uhr bewegt sich im Rhythmus von 2 bis 3 Sekunden. Dabei kann es sein, daß der Schrittmotor auf der Stelle tritt, da bei dieser niedrigen Frequenz die Ansteuerimpulse zu breit werden.

Anders ist das Verhalten, wenn man den Telefonhörer abnimmt. Auch hier ist zwar noch keine Verbindung zu einem Teilnehmer hergestellt, allerdings übermittelt die Vermittlung das akustische Bereitschaftssignal und dies geschieht in einem B-Kanal! Bei den Bildern 2 und 3 handelt es sich um Oszillogramme eben dieses Zustands. Die Frequenz auf dem S0 - Bus ist bei einem genutzten B-Kanal inhaltsabhängig etwa 24 kHz. Damit kommt man der Quarzfrequenz schon recht nahe, so daß der Sekundenzeiger unserer Uhr sich mit einem fast normalen Tempo bewegt. Sind schließlich zwei B-Kanäle belegt, so können Frequenzen von etwa 40 kHz auftreten, die den Sekundenzeiger zu einem sichtbaren Schnellgang animieren.

Es wurde schon darauf verwiesen, daß die auftretenden Frequenzen inhaltsabhängig sind. Wird beispielsweise bei einem Datentransfer eine lange Folge von Einsen gesendet, so sieht der entsprechende Kanal leer aus, da im modifizierten AMI-Code die Eins mit Null Volt auf der Leitung erscheint. Dies ist auch das entscheidende Manko unserer kleinen Schaltung. Sie vermag nicht einen belegten aber unbenutzten Kanal zu signalisieren, da sie das Protokoll auf dem S0 - Bus nicht versteht!

Lange Leitungen

Die Begrenzung des S0 - Busses auf acht Endgeräte (TE) hat ihre Ursache in der Zugriffsprozedur, die bei einer zufälligen Kollision der Signalisierung von zwei oder mehr Geräten auf dem D-Kanal für eine Konfliktlösung sorgen muß. Dies geschieht durch die Vergabe von acht verschieden priorisierten Adressen. Bei einer gleichzeitigen Signalisierung setzt sich das Gerät mit der höchsten Priorität durch. Alle anderen Geräte müssen ihren Verbindungsaufbau verschieben. Damit ist klar, daß der S0 - Wächter die Zahl der anschaltbaren Endgeräte nicht beeinflußt. Da er als Meßgerät die Signale auf dem Sendekanal nur passiv auswertet und selbst nicht sendet, ist er aus Sicht des Kanalprotokolls nicht vorhanden. Natürlich benötigt er eine Steckdose am Bus. Deren Zahl ist aus physikalischen Gründen auf 12 begrenzt.

Jedoch kann die Physik des Busses zu Problemen führen. So ist bekannt, daß die Leitungspaare des S0 - Busses an ihren Enden mit ihrem Wellenwiderstand von 100 Ohm abzuschließen sind, um Reflexionen zu vermeiden. Jede Stichleitung, die vom Bus weggeht, ist selbst wieder als offene Leitung anzusehen und sollte daher nur so lang wie nötig sein. Der S0 - Wächter als Meßinstrument ist außerdem empfänglich für Störimpulse, wie sie in unserer elektromagnetisch durchsetzten Umgebung überall auftreten. Seine Zuleitung zum Bus sollte daher so kurz wie möglich sein und eine Länge von 3 m nicht überschreiten.

Was sagt die Telekom?

Natürlich ist der Betrieb von nicht zugelassenen Geräten an öffentlichen Telekommunikationseinrichtungen untersagt. Es ist aber nicht verboten, ein Verlängerungskabel in eine ISDN-Dose zu stecken. Genau so wie ein offenes Verlängerungskabel erscheint der S0 - Wächter aus der Sicht des Busses. Die Koppelkapazität von 14 pF wird vom Kapazitätsbelag des Kabels vollständig verdeckt, so daß bei korrektem Aufbau keine Nebenwirkungen zu erwarten sind. Dennoch muß es jeder mit sich selbst ausmachen, ob er in diesem Grenzbereich aktiv werden will. Eine allgemeine Zulassung für den S0 - Wächter gibt es nicht!

Quellen:

[Hanewinkel 1996]: Hanewinkel, Herbert: ISDNMONI, Softwaremonitor im Packettreiber ISPA 3.6, ftp.biochem.mpg.de/pc/isdn

[Lochmann 1995]: Lochmann, Dieter: Digitale Nachrichtentechnik, Verlag Technik, Berlin, 1995, ISBN 3-341-01110-2

[Schlenzig 1982]: Schlenzig, Klaus: Einsatzbeispiele für CMOS-Zeitschaltkreise, Reihe electronica, Band 197, Militärverlag der DDR, Berlin, 1982